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Der Vater war der Kopf des Unternehmens, doch im Arbeitszusammenhang auf seine Frau angewiesen. Barbara Leopold war in Religion und „Haushaltungs-Wissenschaften“ erzogen worden und kannte die Betriebsführung eines Wirtshauses. Georgs Felder und Wiesen waren für seine Mitbürger sein wichtigstes Erbe, und sie schätzten auch, dass er es den Kindern mit Bedingungen zum Erhalt übergab.[5] Sein Reichtum, der wohl eher durch kaufmännische Fähigkeiten erwuchs, war der Stadtgesellschaft weniger wichtig. Dieser galt als Gnadenerweis Gottes für seine hausväterlichen Tugenden und Frömmigkeit.[6]
Das Verhältnis der Geschlechter wurde auch vom Prinzip des Wirtschaftsbetriebs mit Wohngemeinschaft bestimmt. Die beruflichen Fähigkeiten der Barbara Dietl(in) waren ausschlaggebend für den Eheschluss – dass sie belesen und fromm war wie Georg, waren die einzigen persönlichen Charakterzüge, die in ihrem Nachruf genannt wurden. Sich zu ergänzen war die Basis der Ehe, nicht „romantische Liebe“ - letzteres ist ein Konzept des bürgerlichen 19. Jahrhunderts. Partnerschaft basierte auf Subsidiarität und Solidarität. Im Haushalt waren die Eltern auch die Einzigen, die verheiratet waren, also auch die „Freiheit“ zum Geschlechtsverkehr hatten. Verbunden damit war die Pflicht, also der Lustverzicht. Ehezweck war die Zeugung von Christenkindern. Entsprechend viele Kinder wurden gezeugt und streng auf den Beruf der Eltern hin erzogen. (Bei Katholiken war der erste Ehezweck die Zeugung von Christenkindern, der zweite das solidarische Zusammenarbeiten, bei Protestanten umgekehrt.)
Erziehungsmittel waren Zucht und Strenge. Wie der zürnende und vergebende Gott so sollten auch die Eltern sein. Schon Johann Leopold wünschte sich zu seiner Beerdigung eine Predigt zur Erziehung. Dieser Ratgeber/Nachruf wurde unter dem Titel „Wie sich ein jeder Christlicher [...] Kirchen- und HaußVatter, gegen seine anvertrawte liebe Kinder [...] verhalten soll [...]“ 1624 gedruckt.[7]
Erziehungsinhalte waren Gottesfurcht (durch Singen, Lesen, Schreiben und moralisches Vorbild), berufliche, vor allem handwerkliche Fähigkeiten und Hausehre, also gesellschaftliches Verhalten. Das Ratgeberbuch glich den ersten Hausväterbüchern des vorangegangenen Jahrhunderts: Der Hausvater ist wie der Priester der Erzieher von Kindern und Gesinde.
In der eigenen Familie der Leopolds war allerdings schon die Schule als Erzieher hinzugekommen. Die Kurzbiographien der Leopolds und Dietl im 17. Jahrhundert zeigten ja bereits, wie sehr die Söhne auf die Ergreifung eines akademischen Berufes, als Geistlicher oder Jurist, hin erzogen wurden. Wenn Nachgeborenen das Studium nicht finanziert werden konnte, dann wurde ihnen eine Lehrstelle und später ein Betrieb oder eine Militärcharge gekauft. Georg musste ja Riemer werden, was er auch gehorsam auf sich nahm. Er selbst drängte seine Kinder mehr zu geistlichen Berufen. In der Enkelgeneration ist eine Vorliebe für Mediziner festzustellen (ein Beruf, der damals an akademischem Rang gewann).
Die Töchter erhielten sicher auch eine entsprechende Bildung, um gebildete Männer zu heiraten. Beschrieben wird es nur für Barbara Dietl: sie war in Gottesfurcht und „Haushaltungs-Wissenschaften“ erzogen worden, durfte anfordernde Bücher lesen. Als Hausmutter ragte sie durch Mildtätigkeit und Frömmigkeit hervor.[8] Neben den Kindern im eigenen Haushalt waren die Hauseltern auch für Unterhalt und Erziehung von Patenkindern zuständig.
Georg Leopold als Stadtvater erzog alle Schutzbefohlenen. Georg Leopold nahm 1658 in seine Chronik auch eine mehrseitige Predigt zur Kindererziehung auf. Hier geht der Appell, die Kinder nicht nur selbst zu erziehen sondern auch in die Schule zu geben.[9]
Das Kinderbekommen, die Erziehung und der Standeserhalt, die „gesellschaftliche Reproduktion“ war das zweite Merkmal des „erweiterten Haushaltes“ neben der „Produktion“ (Wirtschaft des Hauses). Das Prinzip der Zusammenarbeit/Solidarität/Subsidiarität sollte auch das Zusammenleben mit den übrigen Haushaltsmitgliedern prägen. Da wurde kein Unterschied gemacht zwischen Kindern und Gesinde. Die Buben übernahmen schon früh Aufgaben von Knechten oder Lehrlingen, die Mädchen die von Mägden. Früh wurden die eigenen Kinder zu anderen Bauern oder Handwerksmeistern geschickt, um dort zu arbeiten und zu lernen.
Selbst die evangelischen Geistlichen folgten lange diesem Schema: die Leopolds gaben ihre Söhne in andere Städte in die Familien von anderen Geistlichen und Lehrern, damit sie dort die Schule besuchten. Der Hausvater und die Hausmutter waren also auch immer die Väter und Mütter des Gesindes und nicht nur Meister(in) oder Bauer.
Im „erweiterten Haushalt“ gehörte jeder zur Familie, nicht wie später nur Eltern und Kinder (die „Kernfamilie“). Die Rolle der Mutter wandelte sich erst in einer späteren, „bürgerlichen“ Epoche: dann erst erwartete die Gesellschaft, dass sie ihre Söhne auch im Lesen unterrichten konnte. Barbara Leopold war insofern eine frühe Ausnahme, weil sie eben mehr als ein Buch gelesen hatte, was ihr Nachruf hervorhebt. Die bürgerliche Kernfamilie entstand eben im 17. Jahrhundert bei Geistlichen, weitete sich im 18. Jahrhundert auf akademische Bürger auf und gliederte als letztes die Bauern nach dem Zweiten Weltkrieg ein. Die genannten Bedingungen zeigen, dass das Patriarchat der Frühen Neuzeit ganz anders funktionierte, als es spätere Zeiten verstanden. (Im 19. Jahrhundert waren das Patriarchat und das „Ganze Haus“ eine Ideologie, nach der sich Frauen, Kinder und Gesinde der Herrschaft des Vaters unterordneten und konfliktfrei zusammenleben könnten. Später sah die Frauenemanzipation darin nur Unterwerfung und Gewalt.) Der „erweiterter Haushalt“ band die (Ehe-)Frau als Partnerin ein. Er war wie das Feudalsystem organisiert, in dem jeder, je nach seinem Stand in der Hierarchie Pflichten und Freiheiten hatte. So war der Vater im Haus in geistlicher Hinsicht der Vertreter Gottes und in weltlicher der des Königs. Die Mutter war die Stellvertreterin, als Witwe rückte sie an die Spitze nach.
In der Hierarchie des Hauses folgten die Unverheirateten je nach ihrer Aufgabe im Haus, vom Hoferben über den Altgesellen, durch das Gesinde und die arbeitenden Kindern hinab bis zu den Kranken und Kleinkindern. Sie waren zu Gehorsam und Verzicht auf Freiheiten verpflichtet und hatten daraus Rechte auf Unterhalt. Der Hausvater als Stellvertreter Gottes musste die Bewohner in Gottesfurcht erziehen: Gerade bei Protestanten hieß das nicht nur Betstunden zu halten, sondern auch aus Bibel und Erbauungsbüchern vorzulesen. Georg Leopold war hierin Vorbild, sein Lieblingsbuch (aus einer Bibliothek von historischen und religiösen Büchern) war das „Güldene Kleinod der Kinder Gottes“[10]. In die politische Außenwelt des Marktes übertragen, bedeutete das aber auch, dass die Stadtväter in der Not Betstunden in der Kirche leiteten, wenn die Priester vertrieben waren.
In weltlicher Hinsicht war der Hausvater das einzige vollwertige Mitglied der feudal-ständischen Gesellschaft nach außen. Im Inneren war er der absolutistische König. Er züchtigte und maßregelte die Unverheirateten (Kinder und Gesinde) und kümmerte sich um die ihm Anvertrauten – das nennt man Paternalismus.
Das bezeichnete dann auch Georgs Politikstil, weil er als Stadtvater jeden ohne Ansehen der Person förderte, wie sein Nachruf besagt. Seine „Policey“-Maßnahmen gaben den Hausherren Macht über das Gesinde. Umgekehrt erwartet er aber auch von Lehnsherren, dass sie in Notzeiten auf Ansprüche verzichten, wie ein Hausvater eben auch Fürsorge und Schutz geben muss. Der Kaiser durfte züchtigen, aber er sollte auch ansprechbar und wohltätig sein.
Als erweiterte Familie war der Haushalt aber auch von Gemeinsamkeit geprägt. Alle wohnen im selben Haushalt und alle essen vom selben Tisch. Nach dem Dreißigjährigen Krieg erregt sich Georg, weil Dienstboten eine eigene Wohnung, eigenes Essen und eigenen Ackerboden haben wollen, aber ihren Herren kein gutes Wort geben.[11] Der Stadtvater Georg Leopold lebte gleich und bescheiden wie alle anderen Hausväter und erhob sich über keinen, trotz Reichtums. Das war eben nicht so wie im Adel, wo die Herrschaft im 17. Jahrhundert schon abgetrennte Speiseräume hatte. Für Georg Leopold war es etwas berichtenswertes, dass er am Hof und beim Reichstag an der Rittertafel speiste, also nach unten vom Nichtadel und nach oben von den Fürsten getrennt.[12] In seinem Markt war das noch anders. Hier saß er auch mit höheren Ständen am Tisch, weil Geistliche und Landadelige auch Hausväter waren und er als Bürgermeister ihrem Stand durch sein Amt glich. Georg Leopold verurteilte auch nicht, dass diese Männerrunden mitunter altmodisch „grobianisch“ waren. (Die Literaturgeschichte beschreibt mit „Grobianismus“ Stilmerkmale von deutschen Romanen und Tischzuchten des 16. und 17. Jahrhunderts, die sehr satirisch-drastisch geschrieben sind. Die fremdsprachige Literatur war bereits zivilisierter.) Georg stieß sich eher am herrischen Auftreten des fremden Adels, bzw. der neuen, jungen Adeligen. (Nach dem Dreißigjährigen Krieg wandelten sich Umgangsformen, Mode und Sprache von „teutschen“ zu französischen, „Alamode“-Formen)[13] Georg Leopold lässt in seiner Chronik erkennen, wie sehr er sich am Ideal eines Hausvaters orientierte. Seine politischen Gegner handelten anders: Adelige hatten das Herrschen im Blut und stellen ihren Willen in den Mittelpunkt. Die Juristen (Amtsadel) argumentieren mit Rechtstiteln ohne Menschenverstand. Leopold steht bescheiden hinter Gottes Wort zurück. Er wie auch viele seiner Bürgermeisterkollegen führten durch Kommunikation und Vorbild.

Fußnoten

[1]Leopold: Chronik Bd. I, S. 96 und 107
[2] Bd. I S 198
[3] Zink steht für 5 Augen (wie franz. cinque) Daus für zwei (wie lat. duo). Vergl.: Leopold: Chronik Bd. I, S. 43
[4] Das Jahr 1634 war sehr ereignisreich für die Region. In Eger sammelte sich im Februar das Heer des Kaisers. Von Süden und Westen näherten sich die schwedischen Truppen unter Herzog Bernhard von Weimar. Redwitz wurde von beiden Teilen geplündert, weil der Markt „kaiserisch“ war oder weil die Bürger „gut lutherisch“ und Rebellen gegen den Kaiser waren. Daneben mussten die Bürger „befreundete“ Soldaten in ihren Wohnungen unterbringen, verköstigen, Geld geben, bzw. die Pferde in ihren Ställe füttern. Im Februar kam Generalissimus Wallenstein nach Eger, um die Truppen des Kaisers gegen den Feind zu führen. Doch seine Offiziere hatten den Verdacht, er wolle tatsächlich die Armee mit den Schweden vereinen, und ermordeten ihn. Dadurch geriet das Heer in Unordnung und zog sich nach Böhmen zurück. Die Schweden stießen vor. Am Tag als Bernhard von Weimars Truppen in Redwitz erwartet wurden, kam jedoch das kaiserliche Heer. Dort war bekannt, dass die Redwitzer schon 1633 oft Schweden beherbergt hatten. Georg Leopold erklärt: „Der Feind hat sich hier oft befunden, wir hatten ihn aus- und einlassen […] und vielmals kontribuieren müssen. Hingegen [sind] wir niemals von der Kais[erlichen] Majestät gewichen. […]“. (Bd. 1, S. 40) Deshalb erschienen die Redwitzer vielen Befehlshabern als Rebellen und sie schützten sie nicht. So kamen häufig marodierende Einheiten und plünderten den Markt. Doch selbst kaiserliche Soldaten, die ganz ordentlich einquartiert wurde, verhielten sich kaum besser. „Den 29 dito [März 1634] hat sich der General [Marotzin] mit dem Stab in Wunsiedel einquartiert, 5 Regiment schickte er uns abermals über den Hals, denen wir Quartier geben mussten. Diese richteten uns das Kraut zum Herd und waren geschlachte Brüder. Ich hatte eine ganze Kompanie, die ich aushalten musste. Ich musste auch mit einigen Gästen Brett spielen, in welchem Spiel ich sonst ein Meister. Aber damals wusste ich nicht, was Zink, was Daus war, indem mir sonderlich meine Frau in das Ohr pfiff, wie sie die Kühe geschlachtet und das Bier aus dem Keller schrotteten. Ich musste fortspielen und durfte nit sauer darzu sehen, denn sie sagten, was sie im Quartier gefunden, das wäre alles ihr. Wir sollten Gott danken, dass sie uns die Häuser ließen etc. (Leopold: Chronik Bd. I, S. 43) Am dritten Tag marschierten die Regimenter wider ab, wobei sie, Sichersreuth, Tiefenbach und Göpfersgrün am Weg in Rauch aufgehen ließen. Der Befehlshaber der Truppe war General Freiherr Camil Johann Rudolf Morzin (1585 – 1646), aus einem friaulisch-böhmischen Geschlecht. Georg Leopold schreibt ihn „Marotzin“. Wieso Redwitz überraschend nicht von den Schweden sondern von den Kaiserlichen besetzt wurde, konnte Leopold nicht durchschauen. Bernhard von Weimar war nicht nach Eger, sondern nach Norden gezogen. Die Schweden belagerten auf Bitten des Markgrafen die Festung Kronach und erstürmten die Stadt. Die Kaiserlichen unter General Morzin zogen deshalb nach Kronach, als ob sie zum Entsatz kommen wollten. Sie zerstörten auf dem Weg viele Orte des Markgrafen, der so offen mit den Schweden paktierte. Dadurch stellten sie sicher, dass die Schweden ihr Kommen auch bemerkten. Die befürchteten eine größere Entsatzarmee und zogen sich nach Westen in Richtung Coburg zurück.
[5] Kutzer: Christ-Ritter, S. 32
[6] Kutzer: Christ-Ritter, S. 23
[7] Seiferd: HaußRegiment
[8] Kutzer: Gnade Gottes, S. 34 – 38; Leopold: Chronik Bd. I, S. 190
[9]Leopold: Chronik Bd. II, S. 155 – 162. Zur Schulpolitik siehe weiter: Bd. I 87 f., 96 – 98; Leopold: Chronik Bd. II, S. 2, 6, 173, 196,
[10] Kutzern: Christ-Ritter, S. 36 f. [11] Dieser „moralische Verfall“ war eine Dienstbotenknappheit. Nach dem Krieg waren viele Bauernhöfe oder Meisterwerkstätten herrenlos (weil die Alteigentümer tot oder fort waren). Knechte und Gesellen konnten sich viel früher im Leben selbständig machen. Mägde konnten früher heiraten. Die weniger Ehrgeizigen konnten von ihren Arbeitgebern mehr Lohn verlangen. Vergl.: Leopold: Chronik Bd. I, S. 123
[12] Leopold: Chronik Bd. II, S. 296 - 302
[13] Leopold: Chronik Bd. II, S. 296 – 302.

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Überblick

Vom 16. bis zum 19. Jahrhundert war das "Haus" nicht nur Wohnung der Familie sondern auch des Gesindes und ein Wirtschaftsunternehmen. 
Hausherrin und Hausvater sind gleichwertig und stehen über den unverheirateten Mitbewohnern.